Schwule während der Zeit des Nationalsozialismus


Bis zur "Machtergreifung" durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933 galt Berlin als eine liberale Stadt mit vielen lesbisch-schwulen Kneipen, Nachtklubs und Cabarets. Es gab auch eine Reihe von Travestie-Bars, in denen sich heterosexuelle wie schwule Touristen durch Darbietungen von Frauendarstellern unterhalten ließen. Seit Ende des 19. Jahrhunderts existierte auch eine relativ bedeutsame Homosexuellenbewegung. Doch die Fortschritte in der Emanzipation der Freunde, wie sich Lesben und Schwule damals häufig nannten, wurden bald durch den Aufstieg der NSDAP zunichte gemacht.

Die Partei-Ideologen vertraten die Ansicht, dass Homosexualität inkompatibel mit dem Nationalsozialismus sei, weil Lesben und Schwule sich nicht fortpflanzten und an der Reproduktion der "Herrenrasse" teilhatten.
Ernst Röhm, der mit der SA die erste paramilitärische Institution der Nazis anführte, verkehrte unterdessen in der Berliner Schwulenszene. Ähnlich taten es einige andere hohe Führer seiner Organisation wie zum Beispiel Edmund Heines.

Adolf Hitler schützte Röhm anfangs vor anderen Teilen der NSDAP, die seine Homosexualität als Verletzung der vehement antihomosexuellen Politik ihrer Partei betrachteten. Doch als er in Röhm eine Gefahr für seine Macht zu sehen begann, vollzog Hitler einen abrupten Kurswechsel. Während der "Nacht der langen Messer" vom 30. Juni bis zum 2. Juli 1934, einer Säuberungsaktion gegen alle, die Hitler als potentielle Bedrohung empfand, ließ er Röhm ermorden und benutzte dessen Homosexualität, um innerhalb der SA Empörung hervorzurufen. Nach Hitlers Machtkonsolidierung zählten schwule Männer zu den Gruppen, die man gezielt in Konzentrationslager verschleppte. Sie mussten dort den Rosa Winkel tragen, ein Abzeichen, das sie im Lager als Homosexuelle kennzeichnete.

Kurz nach der Säuberung von 1934 wurde ein Sonderdezernat der Gestapo gebildet, um Listen von schwulen Einzelpersonen anzulegen. 1936 schuf der Reichsführer-SS Heinrich Himmler die Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung.

Himmler hatte Röhm, der argumentiert hatte, die Vorwürfe der Homosexualität gegen ihn stammten von Juden, zunächst unterstützt. Aber nach der Säuberungsaktion wurde der Status der SS und Himmlers durch Hitler aufgewertet, und er wurde sehr aktiv in der Unterdrückung der Schwulen, die er in einer Geheimrede am 18. Februar 1937 als "anormales Leben" brandmarkte.

Hitler sah Homosexualität als ein "entartetes" Verhalten, das die Leistungsfähigkeit des Staates und den männlichen Charakter des deutschen Volkes bedrohe. Schwule Männer wurden als "Volksfeinde" denunziert. Man beschuldigte sie, die öffentliche Moral zu zerrütten und die Geburtenrate in Deutschland zu gefährden. Hunderttausende schwule Männer wurden durch den NS-Staat erfasst und verfolgt. Man versuchte, deutsche Schwule, die nach Ansicht des Nationalsozialismus ja Teil der "Herrenrasse" waren, in die sexuelle und soziale Konformität zu zwingen. Schwule, die sich nicht anpassten und ihre sexuelle Orientierung wechselten, sollten in Konzentrationslager geschickt werden, um sie durch Arbeit umzuerziehen oder zu vernichten.

Die Naziverfolgung schwuler Männer vollzog sich primär über die 1935 erfolgte Verschärfung des Paragraphen 175 des Strafgesetzbuches, nach dem im "Dritten Reich" etwa 100.000 Männer verhaftet wurden. 50.000 wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt, eine unbekannte Zahl in psychiatrische Anstalten überwiesen. Hunderte schwuler Männer wurden auf gerichtliche Anordnung hin kastriert. Einige, die unter diesen Gesetzen verfolgt wurden, haben sich selbst jedoch nicht als Schwule identifiziert. Solche antihomosexuellen Gesetze waren in der westlichen Welt weit verbreitet, so dass viele Schwule sich bis in die 70er Jahre, als zahlreiche dieser Gesetze widerrufen wurden, nicht sicher genug fühlen konnten, um ihre Geschichte zu erzählen.

Die Schätzungen hinsichtlich der Zahl der schwulen Männer, die während der Zeit des Nationalsozialismus in den Konzentrationslagern ermordet wurden, variieren erheblich. Sie schwanken zwischen 10.000 und 600.000 Personen. Der Grund für diese Differenzen liegt darin, dass manche Forscher Lesben und Schwule, die wegen ihres Jüdischseins ermordet wurden, in ihre Berechnungen einbeziehen, andere dagegen nicht. Außerdem fehlen in vielen Bereichen Daten über die Gründe, warum jemand in ein Todeslager verschleppt wurde.

Schwule litten unter einer besonders grausamen Behandlung in den Konzentrationslagern. Sie kann auf die unerbittliche Einstellung der SS-Wachen gegenüber homosexuellen Männern zurückgeführt werden, in der sich die Homophobie der deutschen Mehrheitsbevölkerung widerspiegelte. Die gesellschaftliche Marginalisierung der Schwulen bildete sich zudem in der Lagerhierarchie ab, in der sie die niedrigste Kaste darstellten. Sie starben unter den brutalen Schlägen der SS-Wachen, während sie von ihren Mithäftlingen häufig auf Distanz gehalten wurden. KZ-Ärzte benutzten sie darüber hinaus auch für Menschenversuche, um die Ursachen der Homosexualität wissenschaftlich zu ergründen.

Pierre Seel, ein schwuler Überlebender des nationalsozialistischen Lagersystems, schildert das Leben Homosexueller unter der Naziherrschaft etwas genauer: Da er Mitglied der schwulen Szene in Mülhausen war, stand Seels Name auf einer Liste der schwulen Männer des Ortes, die sich bei der Polizei vorstellig machen sollten, nachdem die Nazis diese Stadt unter ihre Hoheit gebracht hatten. Seel gehorchte der Anordnung, um seine Familie vor möglichen Vergeltungsmaßnahmen zu schützen. Auf der Polizeiwache wurden er und andere schwule Männer dann geschlagen; einigen Schwulen, die Widerstand leisteten, wurden die Fingernägel herausgezogen. Andere wurden mit zerbrochenen Linealen in den Anus penetriert, und ihre Därme wurden durchlöchert, was zu starken Blutungen führte. Nach seiner Verhaftung wurde er in das Konzentrationslager bei Schirmeck transportiert. Der Lagerkommandant kündigte während eines Morgenappells eine öffentliche Hinrichtung an. Ein Mann wurde herausgebracht, in dem Seel seinen 18-jährigen Geliebten aus Mülhausen erkannte. Die Nazi-Wachen entkleideten Seels Geliebten, stülpten einen Metallkübel über seinen Kopf und ließen abgerichtete deutsche Schäferhunde auf ihn los, die ihn bei lebendigem Leib zerrissen.

Erfahrungen wie diese können die - verglichen mit anderen nicht rassisch verfolgten Gruppen - relativ hohe Todesrate homosexueller Männer in den Lagern erklären. Nach einer Studie von Rüdiger Lautmann starben 60 Prozent der Schwulen in den Konzentrationslagern, im Vergleich zu 41 Prozent der politischen Häftlinge und 35 Prozent der Zeugen Jehovas. Die Studie zeigt außerdem, dass die Überlebensrate für schwule Männer etwas höher lag, wenn sie aus der Mittel- und Oberschicht stammten, verheiratet waren oder Kinder hatten.

In mehreren Städten wurden Mahnmale errichtet, um an die tausenden schwulen Männer zu erinnern, die während der Zeit des Nationalsozialismus ermordet wurden. Solche Denkmäler finden sich unter anderem in Frankfurt am Main, Amsterdam und San Francisco. Im Jahr 2002 hat sich der Deutsche Bundestag offiziell bei den homosexuellen Opfern des Nazi-Regimes entschuldigt. Nach einem Wettbewerb soll im Berliner Tiergarten gegenüber dem Homocaust-Mahnmal bis 2007 ein Denkmal für die im "Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen" errichtet werden.

Frauen fielen zwar nicht unter den Homosexuellenparagraphen 175. Dennoch wurden Lesben als Bedrohung für die staatlichen Werte betrachtet und liefen Gefahr, in einem Konzentrationslager interniert zu werden. Von der Nazi-Ideologie als "Asoziale" eingestuft, pflegte man sie dort mit einem Schwarzen Winkel zu kennzeichnen.