All die ganzen Jahre...

Das Storyboard entstand auf dem Weg zur Arbeit bei dem Lied All die ganzen Jahre von den Toten Hosen

Da saß ich also, Musik an und völlig verträumt. Ich musste schon aufpassen das ich nicht gleich einschlafe. So schlimm ist es eigentlich selten. Naja, mal sehen was der Tag noch so bringt und wie ich ihn überstehe.

Wie immer schaue ich aus dem Fenster, hatte mir ja meinen Lieblingsplatz ganz hinten am Fenster wieder in Beschlag genommen. Aber irgendwie sah man da nichts, einfach zu dunkel draussen um diese Uhrzeit. Alles was man sieht sind die Schemen von den dreckigen versifften Häusern, und hin und wieder kann man noch eine Gestalt erkennen. Aber man sieht noch mehr. Man sieht auch das, was da sich spiegelt. Man sieht müde Gesichter, gelangweilte und auch genervte Menschen. Man sieht Personen die schlafen.

So schau ich mir die ganzen Gesichter an, Handwerker von Werften, Lagerarbeiter, Geschäftsmänner, wartend auf ihren Halt. Mittendrin seh ich auch einen jungen Mann, der mir irgendwie bekannt vorkommt. Er ist recht dünn im Gesicht und hager von der Statur. Drei-Tage-Bart und schon länger nicht mehr beim Friseur gewesen. Allgemein auch nicht der bestgepflegteste Mädchenschwarm. Ich überlegte und rätselte wer es denn sein und woher ich ihn denn kennen könnte. Aber es wollte mir nicht einfallen. Er hatte seinen Kopf seitlich angelehnt und sich richtig in die Ecke reingemümmelt.

So saß er nun da und döste vor sich hin. Ich schaute ihm dabei zu und dachte immer noch wer es sein könnte. Und obwohl er schlief, schien es mir irgendwie als würde er mich angucken, mich anschauen und sagen "Versuch dich zu erinnern, wir haben so viel erlebt. Es ist als wäre das alles nie gescheh'n. Nichts ist mehr geblieben, alles ausgelöscht. All die ganzen Jahre."

Und da viel es mir wie Schuppen von den Augen. Sicher kannte ich ihn, ich kannte ihn sogar sehr gut und irgendwie auch nicht. Aber das ist alles schon ein paar Jahre her, und es hat sich doch soviel getan. Wie sollte ich mich denn da noch dran erinnern. Selbst beim genauen überlegen fällt mir doch nur noch ein Bruchteil ein. Aber irgendwie ist alles anders heute. Wieder schien es so, als ob er etwas zu mir sagen würde, auch wenn sich weder sein Mund bewegte, noch ich seine Stimme vernahm."Ob es dir wohl auch so geht, dass du mich nicht mehr verstehst? Es ist, als wäre das alles nie geschehn. Nichts ist mehr geblieben, alles so weit weg. All die ganzen Jahre..."

Oh ja, da hatte er nicht ganz unrecht. Ich verstand ihn nicht mehr, auch wenn sich einiges nicht völlig geändert hat, dennoch KANN ich ihn nicht (mehr?) verstehen. Ich ließ mich noch ein wenig in Gedanken schwelgen, hatte ja noch ein paar Minuten Zeit. Dann fällt mir auf einmal noch ein kleiner Junge auf. Ich hab ihn vorher gar nicht gesehen. Es ist, als ob er aus dem Nichts auftauchte. ER war hellwach, und schaute mich mit fast schon aufgerissenen Augen neugierig an. Und auch er schien mit mir zu reden:"Du hast mich noch nicht erkannt, obwohl ich vor dir steh. Ich möchte mit dir reden, doch irgendwie kann ich's nicht. Ich hab dich lang nicht mehr gesehn, guck jetzt in dein Gesicht. Ich suche einen alten Freund, doch ich entdecke nichts."

Ich habe dann auch ihn bald erkannt. Gott ist das lange her. Ich habe ihn schon mehr als mein halbes Leben nicht mehr gesehen. Aber ich kannte ihn. Und WIE ich ihn kannte. Ihn und seine Wünsche, seine Träume und Vorstellungen. Er hatte so wunderschöne Träume.
Und was war davon wahr geworden?? Viel zu wenig. Ich beraube ihm fast aller Zeit, er hat ihm sämtliche Möglichkeiten genommen. Klar das er wohl sauer auf uns sein würde. Aber nein, er ist es nicht, auch wenn er jeden Grund dazu hätte.

Stattdessen zeigte ich mir meine Enttäuschungen die ich zwischenzeitlich gemacht habe. Jedoch ebenso, was ich mir für Träume erfüllt habe. Danach zeigte mir der große Junge, was ich mir alles angetan habe, und teils auch warum ich es tat. Doch er kann längst nicht alles erklären. Er verstrickt sich vielmehr in Widerworten. Ich hingegen erzähle den beiden von meinen Momentanen Wünschen, und vom derzeitigen Standpunkt, der ja gar nicht so schlecht ist. So sehen wir uns noch etwas an, und das Lied geht zu ende. Ich wart' noch einen Moment, dann muss ich raus; meine Haltestelle ist gekommen.

Der Junge Mann kommt mir an der Brücke über die ich muss nochmal entgegen. Ich fragte ihn, ob ich damals wirklich glücklich gewesen bin. Und als ich ihn dann ansah, sagte ich nur noch: "Deine Augen bleiben tot und ich weiß jetzt Bescheid. Ohne ein Wort zu sagen, geh ich an dir vorbei..."

© makoerner